Das Schulterherein

Dritter Teil der Serie über die Seitengänge

„Aspirin der Reitkunst“ – das Schulterherein

Dem Schulterherein wird in der klassischen Dressur eine sehr große Bedeutung zugemessen: Der portugiesische Reitmeister Nuno Oliveira nannte die Lektion „das Aspirin der Reitkunst“ und war der Meinung, es „heile alles“. Hier nur einige der nützlichen Effekte dieser Lektion: Das innere Hinterbein tritt vermehrt unter den Schwerpunkt, die Hanken (Hüft- und Kniegelenke) müssen sich stärker beugen, die Tragkraft der Hinterhand wird trainiert – all dies trägt zur Versammlungsfähigkeit bei. Ausserdem wird der Rücken aufgewölbt indem von hinten aus durch das vortretende Hinterbein Zug auf die Rückenfazie ausgeübt wird. Die Längsbiegung wird gefördert, Schenkelgehorsam, Durchlässigkeit und Geraderichtung werden verbessert.

Korrektes Schulterherein auf drei Hufspuren: Der innere Hinterfuß tritt genau in die Spur des äußeren Vorderfuß'

Korrektes Schulterherein auf drei Hufspuren: Der innere Hinterfuß tritt genau in die Spur des äußeren Vorderfuß‘

Beim Schulterherein wird die Vorhand des Pferdes so weit in die Bahn hineingeführt, dass die äußere Schulter des Pferdes vor seine innere Hüfte gerichtet ist. Die Hinterhand bleibt dabei auf dem Hufschlag und bewegt sich nahezu geradeaus. Der innere Hinterfuß tritt in die Spur des äußeren Vorderfußes, so dass sich das Pferd auf drei Hufspuren bewegt.

Schulterherein auf vier Hufschlägen:

Anhänger der barocken Reitweisen üben das Schulterherein häufig mit etwas stärkerer Abstellung von bis zu 45°. Die Hinterbeine kreuzen dann leicht, wodurch vier Hufschläge entstehen. So wird diese Lektion übrigens in der Spanischen Hofreitschule in Wien praktiziert. Das Schulterherein auf vier Hufschlägen geht zurück auf den französischen Reitmeister François Robichon de la Guérinière, der als Erfinder der Lektion gilt und sie so bereits im Jahr 1733 in seiner „Reitkunst“ beschrieb.

Die Hilfen:

Der innere Schenkel treibt das Pferd vorwärts seitwärts und sorgt für die Längsbiegung. Der äußere Schenkel liegt verwahrend und sorgt dafür, dass das äußere Hinterbein nicht nach außen ausweicht. Der äussere Zügel führt die Vorhand nach innen, begrenzt die Schulter, gibt aber auch etwas nach, um die Stellung nach innen zu ermöglichen. Der innere Zügel ist nur für die Stellung zuständig.

Hilfreich ist es außerdem, zwischen den Ohren des Pferdes hindurch zu schauen und nicht gerade aus Richtung Hufschlag: Dadurch kommt die äußere Schulter automatisch etwas nach vorne und der Reiter dreht seinen Oberkörper richtig leicht nach innen. Der eigene Schultergürtel soll im Schulterherein parallel zu den Schultern, die eigene Hüfte parallel zur Hüfte des Pferdes sein.

Nach den Richtlinien der FN soll der Reiter sein Gewicht beim Schulterherein auf den inneren Gesäßknochen verlagern. Es gibt aber auch die gegenteilige Auffassung: Das Gewicht solle in die Bewegungsrichtung des Pferdes, also nach außen, verlagert werden. Der Vorteil: Das innere Beinpaar, das durch das seitliche Treten ohnehin stark gefordert wird, wird nicht durch zusätzliches Gewicht belastet. Außerdem wirkt das Reitergewicht so in die Bewegungsrichtung und animiert zu fleißigem Vorwärtsgehen – wie auch sonst bei nahezu allen Lektionen üblich.

Gerade wenn ein Pferd sich beim Erlernen der Lektion schwer tut, lohnt es sich, diese Gewichtsverlagerung nach außen einmal auszuprobieren: Beim manchen Pferden platzt dadurch geradezu der Knoten und sie tun sich viel leichter. Wird die Lektion erst einmal beherrscht, kann wieder der innere Gesäßknochen vermehrt belastet werden.

Das Schulterherein wird beendet, in dem die Vorhand auf die Hinterhand eingerichtet, also zurück auf den Hufschlag geführt wird. Man kann die Lektion auch auflösen, indem man auf eine gebogene Linie – beispielsweise eine Volte – abwendet.

 Mögliche Probleme:

Viele Reiter machen zunächst den Fehler, mit dem inneren (zurück genommen) Schenkel zu stark zu treiben, weil sie die Vorstellung haben, sie müssten die Hinterhand seitwärts und nach außen drücken. Dadurch kreuzen allerdings die Hinterbeine oder das Pferd weicht mit der Hinterhand aus. Hier hilft die Vorstellung, dass nicht die Hinterhand zur Seite, sondern vielmehr die Vorhand nach innen verschoben werden soll.

Bei diesem (absichtlich!) falsch gerittenen Schulterherein, werden Kopf und Hals mit dem Zügel nach innen gezogen, das Pferd verbiegt sich dadurch nur im Hals.

Bei diesem (absichtlich!) falsch gerittenen Schulterherein, werden Kopf und Hals mit dem Zügel nach innen gezogen, das Pferd verbiegt sich dadurch nur im Hals.

Zu Beginn ist man außerdem oft versucht, das Pferd vor allem mit dem inneren Zügel in die Bahn ziehen und dort halten zu wollen. Dadurch wird allerdings das innere Hinterbein blockiert, das dann nicht mehr richtig vorwärts-seitwärts treten kann. Zudem wird das Pferd dadurch verleitet, über die äußere Schulter auszuweichen. Hier hilft die Vorstellung, dass die Schulter des Pferdes vor allem durch die äußeren Hilfen nach innen gebracht wird. Um diese Idee zu unterstützen, kann man die äußere Zügelfaust am Widerrist anlegen und dort leichten Druck ausüben.Tipp: Klappt das Schulterherein auf dem Hufschlag gut, sollte man als nächsten Schritt „in den freien Raum“ wechseln – zum Beispiel auf den zweiten Hufschlag oder die Mittellinie. Ohne Unterstützung der Bande kann man gut überprüfen, ob sich das Pferd wirklich im Gleichgewicht befindet.

Eine Steigerung ist das Schulterherein auf gebogenen Linien: Je kleiner der Radius, desto größer wird die nötige Abstellung, um auf drei bzw. vier Hufspuren zu bleiben. Dazu reitet man entweder auf dem Zirkel oder durch die Ecken im Seitengang. Dabei ist es besonders wichtig, die gedachte Linie genau einzuhalten und die Hinterhand gut auf der gewünschten Spur zu halten, da sich das Pferd sonst leicht der Biegung entzieht. Grafik eines Pferdekörpers von oben gesehen im Schulterherein auf drei Hufspuren

Der nächste Schritt ist das Konter-Schulterherein: Dazu wird das Pferd auf dem zweiten Hufschlag nach außen gestellt und gebogen. Die Hilfengebung ist identisch mit der des „normalen“ Schulterhereins, nur dass es spiegelverkehrt geritten wird. Diese Lektion – genauso wie das Reiten in Konter-Stellung – ist übrigens eine sehr gute Vorübung für den Außengalopp: Denn Reiter und Pferd üben dabei das Reiten beziehungsweise Gehen in korrekter Außenstellung und –biegung.

Hier geht es weiter zum vierten Teil: Travers, Renvers und Traversale

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