Seitengänge gelten für viele Reiter als Eintrittskarte ins Lager der Fortgeschrittenen. Für Turnierreiter gilt das besonders, denn in den Richtlinien für Reiten und Fahren der FN werden sie erst im Band 2, der „Ausbildung für Fortgeschrittene“ erklärt. Aber gerade auch unter Freizeit- und Barockreitern sind Seitengänge groß in Mode und ein begehrtes Ausbildungsziel.
Travers, Renvers, Konter-Schulterherein, Schenkelweichen – da kann man schon leicht den Überblick verlieren. In einer kleinen Serie werde ich deshalb in den kommenden Tagen die einzelnen Seitengänge ausführlich erklären: Wie soll es aussehen, wie wird es gemacht und was kann man, wenn es nicht klappt. Im ersten Teil heute geht es erst einmal darum, wozu Seitengänge überhaupt gut sind:
Seitengänge – wozu und ab wann?
Natürlich ist jeder stolz darauf, seinem Pferd erfolgreich das Schulterherein beigebracht zu haben oder zum ersten Mal eine Traversale geritten zu sein. Seitengänge sind jedoch kein Selbstzweck – sie dienen vor allem dazu, das Pferd zu gymnastizieren und gerade zu richten. Richtig ausgeführt, lernt das Pferd dadurch, mit dem inneren Hinterbein vermehrt unter seinen Schwerpunkt zu treten und sich somit zu versammeln – dabei wird auch die Tragkraft der Hinterhand gestärkt. Außerdem verbessern sich Balance, Geschmeidigkeit und damit Durchlässigkeit des Pferdes. Nicht zuletzt fördern Seitengänge die Schulterfreiheit, das heißt, wie weit das Pferd mit den Vorderbeinen ausgreifen kann. Dies ist wichtig für ausdrucksvolle Verstärkungen und Passagen.
Auf Turnieren werden Seitengänge erst ab Klasse M verlangt – im klassischen, an der FN orientierten Unterricht werden sie dementsprechend erst relativ spät gelehrt. Die Begründung: Das Pferd muss bereits fähig sein, sich bis zu einem gewissen Grad zu versammeln. Außerdem muss der Reiter die Hinterhand des Pferdes genau kontrollieren können. Anhänger der barocken oder iberischen Reitweisen beginnen dagegen meist schon früh und mit dem jungen Pferd zumindest mit dem Schulterherein. Hier gilt diese Lektion als Grundlage für alle Biege- und Beugearbeit und wird häufig zunächst vom Boden aus erarbeitet. Seitengänge in der Bodenarbeit sind allerdings umstritten, weil dabei nur Zügel und Gerte zur Verfügung stehen. Gewichts- und Schenkelhilfen fehlen, so dass das Pferd vor allem außen schlecht begrenzt werden kann.
Unabhängig von der Reitweise: Voraussetzung, um mit den Seitengängen beginnen zu können, ist in jedem Fall, dass das Pferd taktrein geht, sich auf gebogenen Linien korrekt um den inneren Schenkel biegen lässt und dabei gut an den äußeren Zügel herantritt. Die Hinterhand darf dabei auch auf kleineren Zirkeln nicht mehr ausfallen.
Idealerweise sollte jeder Reiter zunächst einmal auf einem guten Lehrpferd spüren, wie sich korrekte Seitengänge anfühlen. Danach fällt es wesentlich leichter, sie dem eigenen Pferd richtig beizubringen. Ein geübter Reiter kann anhand von Seitengängen übrigens sehr gut überprüfen, wie weit und gut ein Pferd ausgebildet ist.
Die Seitengänge hängen eng mit dem Thema Geraderichten zusammen – also der Fähigkeit des Pferdes, mit seinen Hinterbeinen in die Spur der Vorderbeine und damit optimal unter seinen Schwerpunkt zu treten. Ein Pferd das alle Seitengänge sicher beherrscht, muss vollkommen geradegerichtet sein und umgekehrt wird es durch das Erlernen und Üben der Seitengänge erst wirklich gerade gerichtet.
So erging es mir selbst mit den Seitengängen
Nach meinem Wiedereinstieg ins Reiten und meinen ersten Einblicken in die Freizeitreiterszene, in der das Dressurreiten gerade groß in Mode gekommen war, hörte und las ich ständig vom Schulterherein und wie toll und wichtig dies sei. (Während der ersten 10 Jahre meiner Reitlaufbahn in einem FN-Schulbetrieb hatte ich noch nie davon gehört…) Selbstverständlich war ich ganz heiß darauf, es auch selbst auszuprobieren und zu lernen. Ich ritt damals bei einer Reitlehrerin mit gut ausgebildeten Schulpferden, die mir das Schulterherein beibringen wollte. Aber irgendwie kam ständig etwas dazwischen in der Reitstunde und meine Reitlehrerin vertröstete mich lange Zeit immer wieder auf das nächste Mal. Dadurch wurde das Schulterherein für mich natürlich zu einem immer größeren, und immer stärker begehrten Mythos. Endlich war es dann soweit: Ich durfte die ersten Schritte aus der Ecke heraus probieren. Meine Reitlehrerin ging dabei aber sehr zurückhaltend vor: Ich durfte das Pferd nur wenige Schritte im Seitengang gehen lassen, dann musste ich gleich wieder geradeaus. So blieb das Schulterherein für mich lange eine nur selten und kurz erlaubte Besonderheit.
Im Laufe der folgenden Jahre hatte ich dann noch auf verschiedenen Lehrpferden Gelegenheit, Schulterherein und schließlich auch weitere Seitengänge zu reiten, bevor ich unserem ersten eigenen Pferd das Schulterherein beibrachte. Wenn ich mir heute Fotos davon anschaue, sehe ich, dass ich damals den gleichen Fehler machte wie die sehr viele Seitengang-Einsteiger: Ich zog das Pferd am inneren Zügel herein und versuchte, es mit dem inneren Schenkel seitwärts zu quetschen. Wahrscheinlich ist es mir deshalb mit ihm auch nie gelungen, mit ihm ein Schulterherein im Trab zu entwickeln, was ich damals darauf schob, dass er als Kaltblut einfach nicht dafür gemacht sei. Natürlich spielt das Dressurtalent des Pferdes eine gewisse Rolle, aber die korrekten Hilfen machen sicher den größeren Anteil. Mit unserer Lipizzanerstute durfte ich in letzter Zeit auf jeden Fall erfahren, dass der innere Schenkel für das Schulterherein so gut wie überhaupt nicht benötigt wird und das sich ein Pferd durch reine Gewichtsverlagerung seitwärts verschieben lässt.
So, morgen geht es dann richtig los mit den Themen Schultervor und Reiten-in-Stellung und einem kleinen Abstecher zum Schenkelweichen, bei dem zwar seitwärts geritten wird, das aber trotzdem kein Seitengang ist. Schaut wieder vorbei – ich freue mich auf Euch!
Dritter Teil: Schulterherein
Vierter Teil: Travers, Renvers und Traversalen
Fünfter Teil: Probleme, Lösungen und kombinierte Übungen
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Guten Tag, mein Siebenjährige es Pferd wir nun-mit Pausen-seit drei Jahren geritten. Nun habe ich ihn an der Hand das Kruppe u Schulter herein beigebracht. Mein Pferd macht das ziemlich gut, ist aber noch nicht sehr gut gerade gerichtet. Nun hat mein Pferd begonnen, nach anstrengenden austreten Ausritten von sich aus in einem Seitengang zu gehen (Hinterbeine um einen Hufschlag nach rechts verschoben). Sie benutzt es nun, um ihr schlechteres rechtes Hinterbein zu entlasten. Ich habe dann mit den Seitengängen sofort aufgehört, und achte nun darauf, dass mein Pferd gerade aus schön spurig läuft. Welche Übungen könnte ich noch machen, damit mein Pferd besser gerade gerichtet wird. Und wann könnte ich die Seitengänge ( bisher nur in die Handarbeit) wieder einbauen? Vielleicht hat mein Pferd gedacht, es müsste nun immer so gehen.. Vielen Dank für Tipps ! (Im Moment läuft mein Pferd spurig, es liegt also nicht an einer Grundveranlagung. Sowas hab ich früher auch noch nie an ihr gesehen). Freundliche Grüße Mary Sutter
Liebe mary, vielen Dank für deine interessante Frage. Ich bin gerade auf dem Weg zur Arbeit und kann deshalb nicht ausführlich antworten, versuche das aber spätestens heute Abend nachzuholen.
Herzliche Grüße
Franziska
Liebe Mary,
so nun habe ich Zeit, richtig zu antworten: Zuvor nur eines – ich bin auch nur eine Amateur-Reiterin; meine Tipps bitte vor diesem Hintergrund einfach als Anregung betrachten, nicht als absolute Wahrheiten 😉
Dieses Verhalten, mit der Hinterhand auszuweichen um Anstrengung zu vermeiden, kenne ich auch von meiner Stute: Sie macht es insbesondere im Rechtsgalopp. Meine Reitlehrerin lässt mich deshalb das Kruppeherein im Rechtsgalopp nur sehr sparsam, kurz und selten üben. Als „Gegenübung“ eignet sich zum einen Kruppeherein auf der anderen Hand und auch Schulterherein auf der ‚“schlechteren“ Hand, denn hier wird das schwache Hinterbein ja gut zum untertreten trainiert.
Es war sicher richtig, die Seitengänge erst einmal zu streichen, aber ich würde es ruhig immer mal wieder mit reinnehmen, dabei eben das Kruppeherein rechts nur ganz sparsam üben.
Das Geraderichten ist ja ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Man muss ein ganzes Pferdeleben daran arbeiten. Dementsprechend geht das auch immer mal auf und ab. Mal scheint es besser und das Pferd auf beiden Seiten gleichmäßiger, dann übt man mehr an etwas anderem, beispielsweise am Schwung und dann kann die Geraderichtung wieder schlechter werden oder auch mal die Seite wechseln. Das ist ganz normal und so lange man das so gut beobachtet wie du und darauf reagiert, auch kein Problem.
Herzliche Grüße und weiterhin viel Spaß mit deinem Pferd!
Franziska