Rezension „Illusion Pferdeosteopathie“

Buchcover "Illusion Pferdeosteopathie"

Illusion Pferdeosteopathie – eine Buchbesprechung

Ich kann mich noch am meine spontane Reaktion erinnern, als das Buch vor zwei Jahren erschien und ich den Titel zum ersten Mal gelesen hatte. Ich dachte mir: „Schon wieder so eine Hetzschrift gegen alternative Heilmethoden! Davon will ich überhaupt nichts wissen.“ Ich erinnere mich auch, in einer Pferdezeitschrift kurz darauf eine recht positive Kritik des Buches gelesen zu haben – aber selbst das konnte mich von meinem ersten Urteil nicht mehr abbringen, ich hatte kein Interesse an dem Buch. Ich denke, der Verlag hat sich und der Autorin mit diesem Titel wirklich keinen Gefallen getan und viele potentielle Leserinnen verschreckt. Genau die Zielgruppe des Buches, nämlich diejenigen, die sich um das Wohlergehen ihrer Pferde sorgen und dafür gerne auch in eine Osteopathi-Behandlung investieren, wird durch den provokanten Titel vergrault. Das ist wirklich schade, denn das Buch liefert jede Menge Erkenntnisse und Denkanstöße genau für diese fürsorgliche Gruppe von Reiterinnen, die sich viele Gedanken um die richtige Haltung und gymnastizierendes Reiten machen.

Erst als mir meine Reitlehrerin kürzlich das Buch empfahl und auslieh, habe ich es gelesen. Und zwar innerhalb von zwei Wochen in einem Zug von vorne bis hinten durch, was ehrlich gesagt selbst bei mir bei Pferde-Sachbüchern nicht allzu häufig vorkommt. Das Buch ist leicht und spannend zu lesen, was sicherlich teilweise auch an dem Zynismus und der Polemik liegt, die so manches Mal mit der Autorin durchgehen: Sicher ein Produkt ihrer Frustration über das viele Elend, dem sie in den Pferdeställen begegnet und über die Unwissenheit der Pferdebesitzer und vieler ihrer Kollegen. So kam vermutlich auch der Buchtitel zustande, der allerdings potentielle Leser nicht nur auf eine falsche Fährte führt, sondern meiner Meinung nach auch viel zu eng gefasst ist: Denn es geht in dem Buch um viel mehr, als darum, die Grenzen und Gefahren der Pferdeosthoepathie aufzuzeigen: Anatomische Zusammenhänge und das Zusammenwirken von Muskeln, die Ursachen und Auswirkungen von Schmerzen auf den Pferdekörper werden gut verständlich erklärt. Die Autorin schildert anschaulich, woran man Schmerzen beim Pferd erkennt, was „Blockaden“ eigentlich sind und warum es „ausgerenkte“ Wirbel gar nicht gibt. Und das Buch wirbt für Verständnis für den Partner Pferd: Die Autorin erläutert sehr eindringlich und anschaulich, warum sich unpassende Haltungsbedingungen, rücksichtsloses Reiten, schlechte Hufbearbeitung und drückende Ausrüstungsgegenstände so fatal auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Pferdes auswirken. Sie erklärt genau, welche Veränderungen am Pferdekörper auf Schmerzen in welchen Regionen hindeuten. So öffnet bzw. präzisiert sie den Blick des Pferdebesitzers für Probleme und Leiden seines Pferdes.

Was habt Ihr euch bisher unter einer „Blockade“ vorgestellt“ Ich hatte eine diffuse Idee von irgendwie mechanisch verkanteten und dadurch festhängenden Gelenken. Das, was Osteopathen in der Regel behandeln, heißt aber eigentlich richtig „Blockierung“. Und diese werden eigentlich immer durch die das Gelenk umgebende Muskulatur ausgelöst, die so stark verkrampft ist, dass sich das Gelenk nicht oder fast nicht mehr bewegen kann. Und deshalb muss so eine Blockierung auch nicht „eingerenkt“, sondern die Muskulatur durch vorsichtige manuelle Therapie, Massage und sanfte Dehnung entspannt und wieder geschmeidig gemacht werden. Immer wieder erläutert die Autorin sehr anschaulich, warum ruckartiges „einrenken“ bei den allermeisten Problemen nicht nur nicht helfen kann, sondern auch warum es großen Schaden anrichten und dem Pferd unnötige zusätzliche Schmerzen zufügen kann.

Das Buch hat meiner Meinung nach auch einige Schwächen:

Zum eine wiederholt sich vieles: Die Ermahnungen zu besseren Haltungsbedingungen in Verbindung mit Spitzen gegen unsachgemäße Offenstallhaltung, der Apell, sein Pferd genügend zu bewegen aber nicht zu überfordern, die Erläuterung, warum man Gelenke und Wirbel in den meisten Fällen nicht „einrenken“ kann und soll, das begegnet einem durch das Buch hindurch immer und immer wieder. Aber vielleicht kann das auch nicht oft genug gesagt werden…

Dann enthält das Buch wohl auch einige sachliche Fehler. Ich selbst mag das nicht beurteilen, aber sowohl meine Reitlehrerin als auch andere Rezensenten kreiden der Autorin falsche Aussagen bezüglich bestimmter anatomischer Details und eine gewisse Unwissenheit darüber an, was wirklich gutes Reiten bewirken kann bzw. nicht bewirkt (Nur ein Beispiel: Nicht jeder, der sein Pferd in Beizäumung reitet, zieht ständig am Zügel).

Eine Sache ist mir selbst sehr unangenehm aufgefallen: In dem Kapitel „Druckbelastungen auf den Pferdebeinen“ stellt die Autorin über mehrere Seiten hin Berechnungen an, wie viel Druck pro Quadratzentimeter in welcher Gangart auf welchem Huf lasten. Das ganze wird gekrönt von einer Tabelle (S. 166) in der genauestens aufgeführt wird, welcher Druck  bei welchem Pferdegewicht und welcher Hufgröße pro Quadradzentmeter wirkt. Das Problem: All diese Zahlen sind Vermutungen und Schätzungen! Die Autorin selbst schreibt: „Diese Berechnungen sind fiktiv entstanden. Aus der Fachliteratur waren keine genauen Angaben zu entnehmen, denn in einem Fachbuch muss man sich schon genau festlegen.“ Tja, genau so ist es, und wenn man das mangels Fakten nicht kann, dann lässt man es lieber… Es hätte doch völlig gereicht, allgemein darauf hinzuweisen, dass enorme Kräfte auf die Hufe des Pferdes einwirken und was diese für Schäden anrichten können. Mit solchen pseudowissenschaftlichen Berechnungen macht man sich meiner Ansicht nach völlig unglaubwürdig und es wäre Aufgabe wenn schon nicht der Autorin, so doch spätestens der Lektorin gewesen, entweder diese Zahlen auf eine solide Basis zu stellen oder sie ganz aus dem Buch zu streichen.

Trotz dieser Mängel halte ich das Buch für absolut lesenswert! Ich habe mein Pferd nach der Lektüre viel genauer und mit wacherem Blick angeschaut. Auch bei anderen Pferden im Stall fiel mir plötzlich vieles auf, was ich vorher einfach nicht gesehen habe. Auch wenn man sich vorher schon intensiv mit artgerechter Haltung, Fütterung und pferdegerechtem Reiten beschäftigt hat, wird man vieles nun noch einmal mit anderen Augen sehen und möglicherweise auch das ein oder andere ändern wollen. Und ganz sicher wird man sich sehr gut überlegen, ob man weiterhin ein bis zweimal jährlich rein prophylaktisch eine Osteopathin kommen lässt uns wenn ja, wird man wesentlich besser beurteilen können, ob sie dem Pferd wirklich etwas Gutes tut oder nur auf Effekthascherei aus ist.

Hier bestellen:
Tanja Richter: Illusion Pferdeosteopathie: Von ausgerenkten Wirbeln und anderen Märchen. 275 Seiten, Wu Wei Verlag Schondorf, 2011.

Die Autorin hält übrigens auch Seminare ab.

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