Dr. Thomas Ritter – Re-Import von Reitkunst bester europäischer Tradition
Reiten ist eine Wissenschaft – diesen Eindruck bekommt man, wenn man Dr. Thomas Ritter beim Unterrichten erlebt oder in seinem Buch liest. Das bedeutet aber keineswegs, dass bei ihm das Reiten unnötig verkompliziert wird. Ganz im Gegenteil: Durch seine genauen Analysen und Erklärungen geht einem so manches Licht auf und vieles, was man jahrelang einfach hingenommen hat, versteht man erstmals wirklich. Die Rückkehr des erfahrenen Ausbilders aus den USA nach Deutschland vor drei Jahren ist für die hiesige Dressurszene deshalb ein echter Gewinn.
Zuerst möchte ich erzählen, wie ich selbst auf Dr. Thomas Ritter aufmerksam wurde: Nachdem wir uns Ende 2009 unsere Lipizzanerstute gekauft hatten, versuchte ich im Internet so viel wie möglich über diese Pferderasse heraus zu finden. Dabei stieß ich irgendwann auch auf Herrn Ritter, denn er hatte in den USA selbst Lipizzaner gezüchtet und viele von ihnen ausgebildet. In einem Internetforum nahm ich 2010 erstmals Kontakt zu ihm auf und fragte ihn nach der Ausbildung von Lipizzanerstuten, weil ich in der klassischen Literatur die Ansicht gefunden hatte, bei den Lipizzanern eigneten sich nur die Hengst zum reiten. Ritter bestätigte, dass selbstverständlich auch die Stuten für die Dressur eigneten, dass sie lediglich oft etwas komplizierter und deshalb oft anspruchsvoller in der Ausbildung seien. Über diesen ersten Kontakt entwickelte sich schließlich die Idee, ein Porträt über den damals bei uns noch wenig bekannten Ausbilder für eine Pferdezeitschrift zu schreiben. Weil er damals noch in Norddeutschland lebte, erklärte er sich bereit, bei einer Reise nach Süddeutschland einen Abstecher zu mir zu machen und mir eine Unterrichtsstunde auf meiner Stute zu geben. Leider fiel der erste dafür vereinbarte Termin erst einmal ins Wasser, weil es just am Vorabend (Ende November!) zu schneien begann… Und wir haben leider nur einen Außenplatz. Im Frühjahr 2011 holten wir die Reitstunde dann nach und ich war sehr begeistert und beeindruckt: Von dem unglaublichen Fachwissen und der freundlichen Art, mit der Herr Ritter dieses vermitteln kann. Wenige Monate später kam Herr Ritter noch einmal für einige Reitstunden zu uns in den Ort, dieses Mal machten weitere Reiter mit und waren ebenfalls sehr angetan. Trotzdem gelang es mir leider nicht, genügend Teilnehmer für eine richtigen Lehrgang zusammen zu bekommen. Nun hoffe ich immer, dass bald einmal ein Lehrgang in meiner Nähe stattfinden kann, zu dem ich zumindest zum Zuschauen fahren kann.
Dr. Thomas Ritter hatte als Jugendlicher in der Tübinger Reitgesellschaft auf Schulpferden mit dem Reiten begonnen. Das eigentliche Lernen begann für ihn jedoch erst ein paar Jahre später, als der 20jährige Student Thomas Faltejsek und Dorothee Baumann-Pellny (damals Baumann-Faltejsek) kennen lernte. Bei diesen beiden bis heute aktiven Ausbildern konnte Ritter fast täglich reiten und bekam mindestens dreimal wöchentlich Unterricht auf einem ihrer Pferde. Die beiden nahmen ihn auch mit zu Egon von Neindorff nach Karlsruhe, wo er dann meist im Sommer ein bis zwei Wochen ritt.
Gegen Ende seines Ägyptologie-Studiums wechselte Ritter an die Universität in Los Angeles und blieb dort auch nach seinem Examen. In den USA kaufte er sein erstes eigenes Pferd, eine Vollblutstute. Lange sucht er nach gutem Reitunterricht und fand diesen zunächst bei Hubert Rohrer, der acht Jahre an der Wiener Hofreitschule gelernt hatte. Danach ritten er und seine Frau Shana mehrere Jahre bei Karl Mikolka, einem ehemaligen Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule, der beide stark geprägt hat.
Lipizzaner waren für Ritter für lange Zeit der Inbegriff der klassischen Pferderasse; die ersten hatte er am Neindorff-Institut kennen gelernt. So baute er gemeinsam mit seiner Frau in den USA eine kleine Lipizzanerzucht auf. Das Reiten machte er nach einigen Jahren zu seinem Hauptberuf und unterrichtete zahlreiche Reitschüler, trainierte Turnierreiter bis in die höchsten Klassen, bildete Pferde aus und zeigte sein Können gemeinsam mit seiner Frau in umfangreichen Showprogrammen.
Beim Reitunterrichten gilt für den 50jährigen das Motto: „Sitzen, Denken, Fühlen“. Dazu gehört also zunächst einmal, Sitz und Einwirkung zu verbessern. Direkte Sitzkorrekturen setzt Ritter relativ sparsam ein: „Ich vermittle dem Reiter lieber, wann und wie er einwirken muss: Dadurch wird der Sitz mit der Zeit in der Regel von alleine besser, weil man nur aus einem guten Sitz heraus richtig auf das Pferd einwirken kann.“
Dann ist ihm besonders wichtig, dass der Schüler versteht, warum er bestimmte Übungen reiten lässt und was diese genau bewirken. Deshalb stellt Ritter auch immer wieder Fragen: Wie fühlt es sich jetzt an; was hat sich im Vergleich zu vorher verändert; ist beispielsweise die Anlehnung jetzt besser oder schlechter?
So will er das Gefühl des Reiters schulen: Dieser soll selbst merken, welche Einwirkungen und Übungen beim Pferd was bewirken und so mit der Zeit auch Probleme selbständig analysieren lernen. Dazu trägt auch Ritters geradezu wissenschaftliche Unterrichtsmethode bei: Er stellt beim Pferd bestimmte Symptome fest, beispielsweise hebt sich das Pferd beim Antraben auf der linken Hand heraus. Dann erklärt er dem Reiter, woran dies seiner Meinung nach liegt: Das Pferd fällt beim Antraben auf die linke Schulter und verliert so sein Gleichgewicht. Dann schlägt eine Übung vor, um die Ursache des Problems zu beseitigen: In diesem Fall wird vor dem Antraben zwei Schritte lang der Zirkel im Schenkelweichen vergrößert und so das Gewicht des Pferdes auf seine äußere Körperhälfte verlagert. Dadurch wird das innere Hinterbein frei, um das Pferd erhabener, runder und kontrollierter in den Trab zu heben.
Für den Reiter ist diese Unterrichtsmethode nicht nur sehr lehrreich, sondern auch äußerst motivierend: Fehler und Schwächen sind hier kein Drama, sondern bieten einen willkommenen Anlass, das Pferd (oder den Reiter) an diesem Punkt zu verbessern. Zu der positiven Unterrichtsatmosphäre trägt natürlich auch Ritters angenehme Art bei: Er bleibt immer freundlich und engagiert, Kritik äußert er so sachlich, dass man sie nie persönlich nehmen muss. Das gilt übrigens auch für seinen Umgang mit dem Pferd: Als er mit meiner Stute vom Boden aus arbeitete, ging sie immer wieder und wieder gegen die Gerte, drohte mit der Hinterhand und stellt die Rangordnung in Frage. Ritter wurde auch nach dem 10. Mal nicht die Spur ärgerlich, sondern korrigierte jedes Mal mit großer Ruhe und Gelassenheit, um dann mit der Übung weiter zu machen. Er ließ sich zu keiner Zeit auf einen Kampf mit dem Pferd ein, sondern überzeugte es schließlich durch seine Souveränität und Beharrlichkeit zur willigen Mitarbeit.
Beim Pferd liegt sein Fokus auf dem Gleichgewicht, dieses betrachtet er als fundamental für alles weitere. Daran arbeitet Ritter beispielsweise durch die Erarbeitung eines ganz gleichmäßigen Tempos: Wenn das Pferd beispielsweise dazu neigt, auf der Geraden oder vor dem Übergang in die höhere Gangart schneller und in den Ecken und vor dem Übergang in die niedrigere Gangart langsamer zu werden, arbeitet er pedantisch daran, diese Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Dadurch findet das Pferd mit der Zeit sein Gleichgewicht und damit auch zur Losgelassenheit. Genauso wichtig sind für Ritter genau gerittene Hufschlagfiguren: Denn daran, wie und wo das Pferd von einer Linie abweicht, lässt sich sehr gut seine Schiefe erkennen und durch genaueres Reiten auch gleich bekämpfen. Was dann noch an Steifheiten übrig ist, wird durch gezielte Übungen bearbeitet. Diese Prinzipien gelten bei Ritter sowohl für Einsteiger wie auch für Grand-Prix-Reiter. Denn auch wenn es in den höchsten Lektionen wie einer Piaffe Schwierigkeiten gibt, liegt das nach Ritters Erfahrung meist an Mängeln beim Gleichgewicht, der Schiefe oder gewissen Steifheiten, die sich am besten mit Grundlagenarbeit korrigieren lassen und nicht durch ständiges Wiederholen der problematischen Lektion. Obwohl Ritter bis in die höchsten Klassen reitet und unterrichtet, gibt es keine Mindestvoraussetzungen für Reiter, die bei ihm lernen wollen. In den USA, wo er eigene Lehrpferde besaß, hat er sogar Longenstunden für völlige Anfänger gegeben.
Obwohl sein Buch Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik heißt, benutzt Thomas Ritter den Begriff „klassisch“ eigentlich ungern, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Er bezeichnet seine Methode lieber als „gymnastisches Reiten“ und sieht sich in der Tradition der alten Wiener Schule und der deutschen Reitlehre. Methoden wie den Bügeltritt oder die Tests der Hinterbeine, wie er sie in seinem Buch ausführlich beschreibt, hat er von ehemaligen Bereitern der Hofreitschule gelernt; sie sind dort aber heute weitgehend in Vergessenheit geraten.
Trotz seiner großen Erfahrung mit Lipizzanern und andere Barockpferderassen will sich Ritter nicht auf die Barockreiter-Schiene festlegen. Er hat auch viele Warmblüter ausgebildet und in den USA auf Turnieren bis in die Hohen Klassen vorgestellt. Hier in Deutschland gehörten zu seinen Schülern anfänglich eher Besitzer von Barockpferden. Inzwischen hat sich das geändert: „Mittlerweile habe ich mehr Warmblüter als Barockpferde in meinen Lehrgängen. Vor allem im Osten Deutschlands und in Österreich sind es deutlich mehr Sportpferde. Es kommen auch immer öfter Turnierreiter zu mir“, berichtet der Ausbilder. Auch selbst auf Turnieren zu starten schließt er nicht aus – „wobei mir das Ausbilden an sich mehr Spaß macht, als Prüfungen zu reiten.“ Zu ihm kommen auch Häufig Leute, die mit Standardmethoden bei ihren Pferden an Grenzen stoßen, den sein „Werkzeugkasten“ hat wesentlich mehr zu bieten, als die Ausbildung nach Schema F.
Thomas Ritter und seine Frau Shana brachten zwei Lipizzanerhengste aus den USA mit, einer davon aus eigener Zucht. Kürzlich hat er sich außerdem einen jungen Lusitanohengst gekauft, der gerade erst angeritten ist.
Durch seine Auftritte auf Pferdemessen, sein Buch und verschiedene Artikel in Pferdezeitschriften gehört Dr. Thomas Ritter inzwischen auch bei uns zu den bekannteren Ausbildern. Er gibt fast jedes Wochenende Lehrgänge in ganz Deutschland und im Ausland. Wer sich dafür interessiert, findet die Kontaktdaten auf seiner Hompage.
Vielen Dank für das ausführliche feed- back. Ich suche für mich und meine Trakehnerin gute Möglichkeiten zur Fortbildung und gelange durch Ihren Beitrag zu dem Wunsch, bei Herrn Ritter zu reiten.
Ich hoffe sehr, dass es bald dazu kommt.
Herzlichen Dank
Tanja Ladda
Dein Blog – immer wieder faszinierender Lesestoff für mich, auch in den Nebensätzen!
Hallo Rebekka, vielen Dank für den netten Kommentar 🙂
lap31l