Buchrezension Sibylle Wiemer: Gymnastizierendes Reittraining. Die besten Übungen

Die besten Übungen

Gymnastizierendes Reittraining

Heute möchte ich euch das neue Buch der Reitlehrerin und Diplom-Pädagogin Sibylle Wiemer vorstellen.
Das Buch wendet sich (auch) an Einsteiger, denn es sind viele sehr grundlegende Dinge erklärt, wie beispielsweise das richtige Wechseln der Gerte, das Anreiten im Schritt oder der Handwechsel. Andererseits tut es sich er auch fortgeschrittenen Reitern sehr gut, sich mit diesen Dingen wieder einmal im Detail zu beschäftigen und (wieder) zu entdecken, welches Übungs- und Verbesserungspotential in solchen scheinbaren Kleinigkeiten steckt. Daneben gibt es durchaus auch recht anspruchsvolle Übungen wie Schlangenlinien mit und ohne Biegungswechsel, die Schaukel und das Übertreten lassen in verschiedenen Variationen.

Das Buch ist sehr übersichtlich aufgebaut: Die einzelnen Kapitel sind in drei große Abschnitte gegliedert: „Die Grundlagen guten Reitens“, „Übungen für Mobilität und Fleiß“ sowie „Übungen im Vorwärts-Seitwärts“.
Pro Doppelseite gibt es in der Regel eine Übung. Der Text ist jeweils aufgeteilt in eine Beschreibung für „Das Pferd“ und „Den Reiter“. Daneben gibt es immer mehrere Fotos und meist einen „Tipp“ und/oder einen Abschnitt mit der Überschrift „Wissenswertes“ bzw. „Bitte beachten“.

Diese klare Strukturierung ist meiner Meinung gleichzeitig die Stärke und die Schwäche des Buches: Die Stärke deshalb, weil es das Zurechtfinden, Verstehen und Lesen sehr einfach macht. Die Unterteilung in viele kleine Abschnitte kommt unseren heutigen Lese- und Informationsgewohnheiten sehr entgegen. Man muss das Buch nicht von vorne bis hinten durcharbeiten, sondern kann sich einzelne Übungen herausgreifen, die gerade für den aktuellen Trainingsstand passen. Es macht Spaß, in dem Buch zu blättern und nach interessanten Anregungen zu stöbern. Zu der guten Verständlichkeit trägt auch die klare Sprache der Autorin bei, die ohne unnötiges Fachchinesisch und in prägnanten Sätzen gut erklären kann.

Die Schwäche deshalb, weil diese starre Struktur und vor allem die Knappheit meiner Meinung nach nicht jeder Übung gerecht wird. Bei vielen Themen würde ich mir eine etwas genauere oder ausführlichere Beschreibung wünschen – ich denke, dass die Erklärungen gerade Einsteigern, an die sich das Buch auf jeden fall (auch) wendet, nicht immer ausreichen werden. Bei einigen Themen halte ich es auch nicht unbedingt für sinnvoll, diese in eine „Übung“ zu verpacken – Inhalte wie „Loben“, „Pausen“, „Kopf-Hals-Positionen“, „Gleichgewicht erfühlen“,„Über den Rücken gehen“, „Reiten nach Plan“, „Reiten mit freier Kopfhaltung“, „Trab“, „Galopp“ oder auch „Beizäumen“ wären meiner Meinung nach sinnvoller in einem einführenden Kapitel oder auch in dazwischen geschobenen „Grundlagen-Kapiteln“ aufgehoben gewesen, in denen die Autorin dann auch freier im Aufbau des jeweiligen Themas gewesen wäre. All diese Themen liegen der Autorin offenbar am Herzen und sie wollte sie deshalb wohl gerne in dem Buch unterbringen, obwohl sie eigentlich nicht in das Buch-Konzept einzelner „Übungen“ passen.

Die sture Aufteilung in „das Pferd“ und „Der Reiter“ führt meiner Meinung teilweise oft eher für Verwirrung als für Klarheit. Denn bei einigen Übungen kommen dadurch die entscheidenden Informationen erst im letzten Abschnitt, man versteht erst am Ende des Kapitels, worin die Übung eigentlich besteht und was eigentlich gemacht werden soll.

Durch die Unterteilung in „Pferd“, „Reiter“ und „Tipps“ werden meiner Meinung nach teilweise Erklärungen auseinandergerissen, die aufeinander aufbauen sollten. Im Abschnitt „Das Pferd“ wird häufig beschrieben, wie das Pferd bei dieser Übung gehen soll, ohne das genauer darauf eingegangen wird, wie dies zu erreichen ist (Beispiel in Übung 2: „Ab dem Moment des Aufsteigens ist es wichtig, dass sich Ihr Pferd kraftvoll vorwärts bewegt. Es sollgelassen schreiten und sich gleichzeitig aus eigenem Antrieb heraus bewegen.“ Wie man dahin kommt, wird nicht gesagt).

Ich hätte mir gewünscht, dass am Anfang jedes Kapitels in zwei bis drei Sätzen die eigentliche Übung und ihr Zweck kurz beschrieben werden – wie es bei einigen Übungen auch gemacht wurde (positives Beispiel: Übung 14 „Schulterkontrolle“). Danach könnte man dann je nach Übung mal die Anweisungen für den Reiter, mal die für das Pferd voranstellen.

So nun ist aber genug gemeckert – eigentlich gefällt mir das Buch nämlich sehr gut! Die meisten Übungen sind leicht nachvollziehbar und dienen der Verbesserung wichtiger Basis-Fähigkeiten für wirklich gutes Reiten – sowohl beim Reiter als auch beim Pferd. Wesentliche Dinge, die in vielen Reitlehrbüchern vernachlässigt werden, wie beispielsweise das horizontale und laterale Gleichgewicht oder die Schulterkontrolle werden hier sehr gut und nachvollziehbar erklärt. Vieles ist für konventionelle Reiter vielleicht ungewohnt, öffnet aber sicher gerade dann den Blick und das Verständnis für grundlegende Dinge wie die Beweglichkeit des Maules, ein ausbalancierter Sitz und ein im Gleichgewicht gehendes Pferd. Übungen wie das „Reiten in Außenbiegung“ werden im konventionellen Unterricht selten gelehrt, können aber zu schönen Aha-Erlebnissen führen. An einigen Kapiteln ist deutlich die Prägung der Autorin durch Philippe Karl abzulesen: So zum Beispiel bei „Demi-Arret für Leichtigkeit“,„Aufwärts-Paraden“ oder auch „Deutliche Biegung“. Ich frage mich zwar, in wie weit es sinnvoll ist, diese Techniken nur nach einem Buch und ohne fachkundige „Live-Anleitung“ zu üben. Aber letztlich gilt das natürlich für jede Übung und für jedes Buch, in dem solche beschrieben sind. Mir gefällt, dass Wiemer hier keine Religion aus einer Lehre macht, sondern hilfreiche Ansätze herausgreift, die reitweisenübergreifend hilfreich sein können.

Schön finde ich auch, das scheinbaren Selbstverständlichkeiten wie beispielsweise dem „Anreiten im Schritt“, dem „Handwechsel“, „Auf dem Zirkel geritten“ oder auch dem Leichttraben eigene Kapitel gewidmet werden, die deutlich machen, wie viel Beachtenswertes in diesen scheinbar einfachen Aufgaben steckt.

Besonders gelungen finde ich die Bebilderung: Die Fotos sind sehr anschaulich, es gibt jeweils Aufnahmen für „richtig“ und falsch, die Pferde wirken zufrieden und die Reiterinnen haben Spaß an der Sache. Ganz nebenbei gefällt mir sehr gut, dass Pferde der unterschiedlichsten Rassen zu sehen sind: Warmblüter, Haflinger, Schwarzwälder, Friesen, Ponys und ein Lusitano.

Das Buch bekommt von mir auf jeden Fall eine Kaufempfehlung – vor allem für Reiterinnen, die neue Anregungen für das tägliche Training suchen, die offen sind für Neues und Lust auf unkonventionelle Wege haben. Für den relativ günstigen Preis bekommt man hier einiges geboten.

Hier bestellen:
Sibylle Wiemer: Die besten Übungen – Gymnastizierendes Reittraining Franckh-Kosmos Verlags-GmbH Stuttgart 2013, € 14,99

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